Die wilde Zeit

© EuroVideo

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Die wilde Zeit

Après Mai

Frankreich 2012

FSK: ab 12 Jahren

Länge: ca. 121 Min.

Studio: MK2 Productions

Vertrieb: EuroVideo

Filmzine-Review vom 03.02.2014

Frankreich, 1971. In einem Vorort von Paris trägt eine Gruppe Gymnasiasten ihren Kampf gegen das Establishment aus. Mit Flugblättern und Graffitis sowie von der Polizei gewaltsam niedergeknüppelten Demonstrationen machen sie ihrem Wunsch nach Veränderung, nach Revolution, Luft. Gilles (Clément Métayer) und seine Freunde streben dabei nach friedlichem Widerstand, gleichzeitig jedoch entladen sich auch ihre Aktionen letzten Endes ungewollt in Gewalt.

Die Jahre nach dem Mai 1968 (im französischen Originaltitel mit Après Mai treffend referenziert) waren eine bewegte Zeit, auch in Frankreich. In dieser Zeit jung zu sein, bedeutete, dass politische Diskussionen zum Alltag gehörten – zumindest in der Szene der Revolutionäre und Freidenker – so sehr, dass sie beinahe zwangsläufig irgendwann auch zu Platitüden verkamen oder als Selbstzweck ihren Sinn verloren. Vor allem aber bedeutete es, mit dem Versprechen unendlicher Freiheit groß zu werden, mit dem Gefühl, dass alles möglich ist, und dass einem – im wahrsten Sinne des Wortes – die ganze Welt offensteht. Dass diese Freiheit nicht automatisch glücklich macht, lässt das politisch-historische Drama von Regisseur Olivier Assayas (Carlos – Der Schakal) auf eindringliche Weise deutlich werden. Denn ohne jegliche Grenzen und mit der kompletten Entscheidungsfreiheit seinen eigenen Weg zu finden, erweist sich für die Protagonisten als schwieriger Drahtseilakt: zwischen Kunst und Politik, freiem Sex und Liebe, Drogen und Verantwortung, Freiheitsdrang und Orientierungslosigkeit.

Die wilde Zeit krankt ein bisschen daran, dass diese Orientierungslosigkeit sich als nahezu einziger roter Faden durch den Film zieht. Es werden zahlreiche Themen angerissen, die die Zeit bewegt und geprägt haben: die Befreiung der Arbeiter, der Kampf gegen das Establishment, die Kluft zwischen kommerziellen Notwendigkeiten und idealistischen Ansprüchen, freie Liebe und Sex, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, Drogen, Reisen und das Recht auf Abtreibung. Alles mit ideologischem Unterbau auf die jungen, häufig von unerfahrenen Schauspielern verkörperten Charaktere projiziert, bringt diese Vielfalt an Themen eine Vagheit in den Film, die von den eher oberflächlichen Charakterzeichnungen und ihren unmotivierten, im Stil der Zeit häufig wechselnden Entscheidungen noch verstärkt wird. Deshalb ist Die wilde Zeit ein durchaus treffendes und authentisches Zeitdokument – wohl auch, weil es sich eng an den eigenen autobiographischen Erfahrungen des Regisseurs orientiert –, das auch die Kehrseite der Freiheit und die Schattenseiten der oft in verklärten Bildern transportierten „Flower Power“-Ära zeigt. Gleichzeitig führt der durchaus anstrengende und von einer überfordernden Entscheidungsfreiheit belastete Charakter der porträtierten Epoche dazu, dass auch der Film eher anstrengend und langatmig als unterhaltend ist. Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird mit einem beeindruckend authentischen Epochenportrait belohnt, das fernab von nostalgischen Verklärungen wahrscheinlich einen der realistischsten Blicke auf diese noch gar nicht so lange zurückliegende Umbruchszeit wirft, den das Kino zu bieten hat.

Aufgrund der zahlreichen Sprachwechsel und des authentischen Flairs sei dem Zuschauer die französisch-italienisch-englische Originalfassung des Films wärmstens ans Herz gelegt. Nähere, aufschlussreiche Infos zum Film und zu der Ära, die er porträtiert, gibt es in einem viertelstündigen Making Of, in dem vor allem Regisseur Olivier Assayas ausführlich zu Wort kommt.

 

Katjas Filmwertung

Authentisch, realistisch und ganz ohne rosarote Flower Power-Brille: ein intensives, aber auch desillusionierendes und bisweilen durchaus anstrengendes Epochenportrait aus Frankreich.

Katja

Katja

Originalton-Verfechterin, Fantasy- und Serien-Fan. Schaut gerne spanische und französische Filme, um den Kopf ein-, sowie auch mal Bollywood und gute RomComs, um ihn auszuschalten.

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Cast & Crew

Diese DVD/Blu-ray wurde uns vom Vertrieb EuroVideo kostenlos zu Rezensionszwecken zur Verfügung gestellt. Unsere Bewertung ist davon jedoch nicht beeinflusst und gibt die unabhängige, persönliche Meinung des jeweiligen Rezensenten wieder.
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