
© Neue Visionen Filmverleih
Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach
En duva satt på en gren och funderade på tillvaron
Schweden 2014
FSK: ab 12 Jahren
Länge: ca. 100 Min.
Studio: Roy Andersson Filmproduktion AB
Vertrieb: Neue Visionen Filmverleih
Filmzine-Review vom 03.09.2015
Seid ihr auch solche Titel-Fetischisten? Ich kann mich ja an schönen Wörtern und Formulierungen erfreuen, ob es nun Film- oder Buchtitel sind… House of Sand and Fog, Der Schatten des Windes, Only Lovers Left Alive, fielen mir da spontan ein. Von daher steht auf einem Rezensionsexemplar mit dem Titel Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach schon mal ganz klar mein Name. Und wenn der Inhalt dann noch halten kann, was der Titel verspricht… – Jackpot!
Was uns der schwedische Regisseur Roy Andersson hier präsentiert, ist mit einem Wort oder einem Satz nicht zu beschreiben. Dass es heutzutage bei unserer medialen Reizüberflutung und in der heutigen Filmlandschaft noch möglich ist, etwas derart Neues, Anderes, Ungewöhnliches, Noch-nie-zuvor-Dagewesenes zu kreieren, kann man sich ja eigentlich kaum vorstellen. Seine unkonventionelle Studie über das Menschsein, die Menschlichkeit und die Ästhetik des Alltäglichen ist kein zusammenhängender Film, es sind Episoden, fast schon sketch-artig, die ineinander greifen, aufeinander aufbauen, zueinander Bezug nehmen, und die allesamt dermaßen strange sind, dass man fasziniert vor sich hingrinsend und zwischendurch laut lachend und permament kopfschüttelnd auf der Sofakante hockt.
Die Kamera bleibt in jeder Einstellung statisch, es gibt keine Schwenks, keine Fahrten, keine Nahaufnahmen. Andersson schafft eine bis ins Detail durchkomponierte Bühne, auf der nichts dem Zufall überlassen ist. Man sieht sofort, hier ist ein Perfektionist mit geschultem fotografischen Auge am Werk: kein Bierdeckel liegt am falschen Platz, eine Schublade ist bewusst einen Spalt geöffnet, der Blick aus dem Fenster harmoniert mit dem Interieur. Bevölkert wird diese Bühne von kauzigen Typen mit ungesunder Gesichtsfarbe. Die Szenen erinnern nicht selten an die faszinierend-entrückten Fotografien eines Gregory Crewdson. Die Zeit ist irgendwo in den 60ern stehengeblieben, die Farben sind gedämpft, die Gesichter fahl, die Stimmung auf dem Nullpunkt. Aber gerade in dieser skurrilen Trantütigkeit liegt eine absurde Situationskomik, die den ganzen Reiz dieses Films ausmacht.
Da ist zum Beispiel die Flamenco-Gruppe, deren Teilnehmer eher aussehen, als würden sie am nächsten Zombiewalk teilnehmen, oder die Frau auf dem Sterbebett, die verständlicherweise unbedingt ihre Handtasche mit in den Himmel nehmen will. Und dann wären da noch als Dauergäste die beiden depressiven Vertreter für Scherzartikel, die im Tonfall einer Trauerrede Lachsack und Vampirzähne an den Mann zu bringen versuchen.
Wer empfänglich ist für schöne Kompositionen, einen verschrobenen Humor und skurrile Situationen, all dies verpackt in eine Optik, als hätte Edward Hopper die DDR gemalt, der DARF sich Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach nicht entgehen lassen.
Das viertelstündige Making of konzentriert sich auf die Entstehung der Szene, in der Karl XII (aus dem 18. Jhdt., für alle, die die schwedische Thronfolge nicht so parat haben) in eine Kneipe am Stadtrand reitet, und verdeutlicht die akribische Arbeitsweise des Regisseurs. In einem Interview mit Andersson, das aufgrund seiner etwas mageren Englischkenntnisse ein kleines bisschen Geduld erfordert, erzählt er dann noch mehr über seine Vorliebe für das Reduzierte, das Abstrakte und über seine Abneigung gegen Overacting und gegen Schnitte, bei denen seiner Meinung nach die Präzision verloren geht. Er sagt, sein Ziel war es, dem Publikum etwas zu zeigen, was es noch nie zuvor gesehen hat. Glückwunsch – Ziel erreicht!
Ninas Filmwertung
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Leserwertung
Trailer
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Cast & Crew
Schauspieler: Holger Andersson, Jonas Gerholm, Nils Westblom, Ola Stensson
Musik: Gorm Sundberg, Hani Jazzar
Produzent(en): Pernilla Sandström